Animagie – Teil 1 (Fortsetzung)
E: „Aber auch das menschliche Embryo ist in den ersten Monaten – zumindest äußerlich – geschlechtlich noch völlig undifferenziert: und Rudimente der gegengeschlechtlichen Organe finden sich selbst noch im erwachsenen menschlichen Körper. Erscheint es danach nun so völlig ausgeschlossen, daß ganz analog auch in der ‚Psyche‘ des Menschen, die ja sicher nicht total unabhängig vom Körper existiert, auch gegengeschlechtliche ‚Potentiale‘, Möglichkeiten oder Komponenten existieren könnten – und zwar bei jedem Mann und bei jeder Frau?“
S: „Hm – ‚wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen – steht aber immer schief darum‘: denn woran soll man nun eigentlich merken, ob so ein ‚Potential‘ oder so eine ‚Komponente‘ in der Tat ‚gegengeschlechtlich‘ sei? Angenommen, ich spiele gern (und sogar recht gut) Schach: soll ich dann sagen ‚huch – das ist aber eigentlich ganz unweiblich: das muß wohl eine gegengeschlechtliche Komponente in mir sein?‘ Oder ich treffe einen Mann, der mit Begeisterung – und zudem besser als ich – kocht: sage ich dann ‚ach, da kocht gar nicht der Franz – sondern in Wirklichkeit sein weiblicher Seelenteil, seine Anima!‘? Das hieße doch bloß, vorgefaßte gesellschaftliche Rollen-Vorstellungen und -Stereotype – tiefenpsychologisch aufgeputzt – zu perpetuieren: und – um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen – mit ‚Magie‘ hätte es schon erst recht nichts zu tun!“
E: „Völlig einverstanden – aber gerade deshalb möchte ich ja, daß wir die Frage eben genau herumdrehen: angenommen, wir fänden nun aber gerade typisch ‚magische‘ Aspekte, Phänomene oder Verhaltensweisen, die ‚Weibliches im Mann‘ oder ‚Männliches in der Frau‘ beträfen – dann könnten wir doch eher annehmen, daß wir es dort nicht bloß mit oberflächlichen Vorurteilen zu tun hätten, sondern dem Kern der Sache näherkämen?“
S: „Also ich muß schon sagen: Sie haben eine unglaublich raffinierte Art, mich – mit meinen eigenen Argumenten – immer genau in die Ecke zu zwingen, in die ich eigentlich gar nicht will!“
E: „Aber – wenn’s doch ‚Ihre eigenen‘ Argumente sind: ‚zwinge‘ denn dann eigentlich ich Sie dahin – oder zwingen Sie sich damit nicht im Grunde, obwohl Sie es eigentlich ‚gar nicht wollen‘, unbewußt selbst? Aber was ist denn nun eigentlich diese ‚Ecke‘, in die Sie ’nicht wollen‘ – und warum ‚wollen‘ Sie eigentlich partout nicht in sie?“
S: „Oh Gott, jetzt kommen Sie mir auch noch als psychoanalytischer Sherlock Holmes: ‚Sie haben mir ja selbst die Indizien geliefert – also gestehen Sie jetzt auch!‘. Aber warum sollte ich es eigentlich nicht zugeben: Ich bin eben eine Frau und will auch eine sein – nicht eine Mischpackung aus weiblichen und männlichen ‚Komponenten‘; genau wie ich etwa in Ihnen einen Mann sehen möchte und nicht da ein Stück Mann und dort ein Stückchen Frau. Und wenn ich mein ureigenstes Wesen weiter entfalten möchte – zum Beispiel und gerade auch durch ‚Magie‘ – dann will ich das erst recht als Frau tun und dabei nicht auf einmal ‚männliche Komponenten‘ beschwören!“
E: „Warum nicht? Wären Ihnen die etwa ‚unheimlich‘?“
S: „Also den Köder nehme ich diesmal nicht – damit Sie sagen könnten ‚unheimlich ist auch magisch – und damit hätte ich Sie schon bei einem magischen Aspekt einer solchen Komponente erwischt!'“
E: „Aber – Anwesende mal ausdrücklich ausgenommen – vielen Menschen könnte doch die Vorstellung, daß sie auch (vielleicht ohne es überhaupt zu wissen) eine gegengeschlechtliche Komponente in sich herumtragen könnten, in der Tat ausgesprochen ‚unheimlich‘ sein? Und wäre das nicht ein verständlicher Grund dafür, daß sie sich sträuben, solch eine Vorstellung überhaupt zu akzeptieren?“
S: „Oh, jetzt wollen Sie mich aber seitwärts von hinten erwischen! Aber das ganze ‚unheimlich‘ haben ja Sie und nicht ich eingeschmuggelt – ich frage viel simpler: wozu sollte denn eine gegengeschlechtliche Seelenkomponente in mir eigentlich nütze sein? Bei Ihren X-Chromosomen im Mann – oder bei Androgenen in meinem Körper – haben Sie mir biologische Gründe genannt, die ich akzeptieren konnte: aber in meinem ganz persönlichen – und dann doch eben durchweg ‚weiblichen‘ – Seelenleben?“
E: „Nun ja – wenn Sie der einzige Mensch auf der Welt wären und deshalb Ihr Seelenleben auch ausschließlich ‚intern‘ für sich selbst abwickeln müßten, wäre es in der Tat schwer einzusehen, wozu Sie eine solche Komponente brauchen könnten. Nur ist das eben nicht so: Sie sind ständig – und jedesmal auch irgendwie ’seelisch‘! – mit anderen Menschen involviert, und nicht immer nur mit anderen Frauen, sondern genau so oft auch mit Männern. Wenn Sie nun in Ihrer Psyche überhaupt nichts weiter als ‚Weibliches‘ hätten – dann könnten Sie sich zwar auch in andere Frauen ‚einfühlen‘: aber bei Männern könnten Sie das nicht – sondern wären gegenüber denen ausschließlich auf das angewiesen, was Sie ‚von außen‘ erfassen könnten: also gerade bloß die – von Ihnen zu Recht kritisierten – auf gesellschaftlichen Erfahrungen beruhenden Rollen-Vorstellungen und Stereotype …“
S: „Klingt wieder sehr einleuchtend – bloß widerlegt die Praxis es gleich: ich kann mich zum Beispiel jetzt gerade doch mit Ihnen sehr gut unterhalten, ohne daß ich dazu etwa mein ‚gegengeschlechtliches Seelenteil‘ mobilisieren müßte – einfach auf der Basis allgemein-menschlicher Wesenszüge, die wir gemeinsam haben!“
E: „Also ich habe zwar – wenn Sie mir mal eine persönliche Randbemerkung verzeihen – ganz im Gegenteil den Eindruck, die meiste Zeit mit Ihrem ausgesprochen kratzbürstigen ‚Animus‘ zu debattieren, der mir freiwillig keinen Fußbreit Boden zugestehen will, den ich ihm nicht mit strikt ’sachlich-männlicher‘ Logik abringen kann …“
S: „… was aber Ihre weiblich-einfühlende ‚Anima‘ großmütig über sich ergehen läßt?“
E: „Den Teufel täte sie das – die hätte längst schon eine Szene gemacht, mit einem schluchzenden „Sie geben sich ja überhaupt keine Mühe, mich zu verstehen!“ – wenn ich sie nicht bewußt ständig an der Kandare hielte! Aber davon mal abgesehen, haben Sie natürlich im Prinzip durchaus recht: allein um sich mit jemand anderen Geschlechts über irgendwas zu unterhalten, brauchte man im allgemeinen noch nicht unbedingt das innere gegengeschlechtliche ‚Seelenbild‘ (da reichten vielfach Ihre ‚allgemein-menschlichen Gemeinsamkeiten‘ völlig); aber je mehr die Partner einander nun wirklich ‚als Frau‘ und ‚als Mann‘ verstehen müssen – desto unentbehrlicher wird es, daß jeder in der Tat auch etwas vom anderen ‚in sich hat‘, auf das er – bzw. sie – zurückgreifen kann.“
S: „Also – jetzt will ich mir, eingedenk Ihrer frustrierten Anima, einmal echt Mühe geben, Sie zu verstehen: damit ich als Frau einem Mann wirklich ‚Partner sein‘ könnte, müßte ich auch das berüchtigte ‚Stückchen Mann‘ in mir haben – und er umgekehrt ein Stück Frau? Das ist aber wirklich schwer zu verdauen …“
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