Transsexualität

Verpasste Momente – Ein Mädchen ohne Vergangenheit

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Schaut man zurück auf meine Biografie, dann wird schnell ersichtlich, dass ich bis jetzt mehr als den Großteil meines Lebens als Mann verbracht habe. Auch wenn ich seit meinem elften Lebensjahr immer wieder versucht habe, meine eigentliche weibliche Seite auszuleben, stand der Mann immer im Vordergrund. Bis vor einigen Jahren, als ich mich dazu entschlossen habe, komplett als Frau zu leben. Endlich Ich zu sein. Doch in den letzten Monaten wurde mir immer mehr bewusst, dass ich nie mit den biologischen (oder auch Cis-Frauen genannten) Frauen nicht mithalten kann. Natürlich fehlen mir ein paar körperliche Merkmale, die ich auch nie besitzen werden kann. Auch wenn es traurig ist, so wiegen diese Unterschiede für mich nicht so schwer, wie meine passte Vergangenheit. Etwas, dass ich nicht nachholen kann. Wo mir die anderen immer weit vorraus sein werden.

Für einige mag es nicht wichtig sein, aber mich schmerzt dieses fehlende Kapitel. Ein Fakt, der immer mehr zu einer Barriere wird, denn wie will man über Dinge reden, die man nie erlebt hat? Die man nie selbst gefühlt hat? Es gibt einfach Themen, über die nie jemand mit mir reden oder sich austauschen wird, denn ich kann diese Erfahrungen gar nicht gemacht haben. Und so wird man unbewusst ausgeschlossen, ohne böse Absicht. So wird einem immer wieder bewusst gemacht, dass man doch anders ist. Das liegt aber auf keinem Fall an den Menschen, die mich umgeben. Denen ist kein Vorwurf zu machen, denn für sie gehöre ich dazu und das würde auch niemand abstreiten. Es sind die Gedankenspiele, die einem durch den Kopf gehen: Was wäre, wen ich mich schon viel früher dazu entschieden hätte? Wenn mir meine Eltern schon vor der Pubertät ermöglicht hätten, diesen Weg zu gehen? Wer wäre ich heute? Wäre ich der selbe Mensch? Gedanken, die mich immer wieder beschäftigen. Fragen, die schmerzen und meine Welt zeitweise auf den Kopf stellen. Momente, in denen ich kämpfe, mich nicht vor den anderen zu verschließen, weil ich innerlich weiß, dass ich anders bin. Auch wenn die Unterschiede zwischen mir und anderen Frauen/Mädchen auf den ersten Blick sehr klein erscheinen, so sind sie doch gewaltig groß. Und unüberwindbar.

So stellt sich mir immer häufiger die Frage, was kann man dagegen tun? Wie wird man der Lage Herr, ohne in Depressionen zu verfallen. Der Grat dazu ist ziemlich schmal. Und bis jetzt habe ich auf diese Fragen noch keine Antwort gefunden. Meine männliche Biografie ist umunstößlich in Stein gemeißelt und wird immer Teil von mir sein. Die Biografie von meinem eigentlichen ICH weist hingegen viele Lücken auf. Wer transsexuell ist, muss sich dieser Tatsache bewusst sein, denn je später man damit anfängt, um so größer werden die Lücken. Wer das jedoch anders sieht, der belügt sich selbst, denn egal was man versucht, man kann seiner Vergangenheit nicht entkommen und man wird immer wieder unbewusst daran erinnert. Und eigentlich bin ich total glücklich mit den Menschen, die mich umgeben, mit denen ich zusammenarbeite und befreundet bin. Auch wenn die Altersunterschiede teilweise sehr groß sind, was mich gleich wieder zum Nachdenken anregt. Noch einmal so jung sein und all das mit anderen Augen erleben, die gleichen Erfahrungen machen. Träume. Weiter nichts.

Für viele ist es immer schwer zu verstehen, was Trans*Frauen so bewegt, warum einige nicht ganz so glücklich sind, auch wenn sie ihren Weg bestreiten. Gerade bei transsexuellen Jugendlichen ist die Selbstmordrate in der Pubertät groß. In einer Episode, wo der Körper sich entwickelt und die Unterschiede immer größer werden. In meiner Pubertät war für mich das Größte, als mein Vater mir gezeigt hatte, wie man sich rasiert und ich die lästigen Haare loswerden konnte. Andere Dinge hingegen konnte ich nicht verändern. Weder meine Biografie noch meine Vergangenheit. So blieb mir nichts weiter übrig, als zu beobachten, wie sich die anderen Mädchen entwickeln. Und auch heute geht es mir noch so, dass ich neidisch darauf bin, was andere erleben durften, da es zu ihrer normalen Entwicklung dazu gehört, während ich auf meine Vergangeheit zurückblicke, die es gar nicht gibt.

6 Kommentare

  1. Ich kann dich komplett verstehen, Stella, weil es mir auch so geht! Von bisherigen 36 Jahren hatte ich 13 Jahre gezweifelt, ob ich m oder w bin. In letzter Zeit phantasiere ich oft darüber, wie es wäre, als Mädchen geboren worden zu sein.
    In diesem Fall hätte ich nämlich keine Lücken in meinem Lebenslauf und würde heutzutage ohne Skrupel geschminkt und in Frauenklamotten das Haus verlassen und hätte keine Angst, als Transe bezeichnet zu werden.

  2. Schöner Beitrag den ich nur zu gut verstehe. Ich habe mal geschrieben egal was ich tue ich werde nie nachholen können nicht als Mädchen aufgewachsen zu sein und eine „normale“ Sozialisation als Frau erlebt zu haben.

  3. Oh ich weiß nur allzu gut, was du meinst. Die Frage „Was wäre wenn“ habe ich mir lange gestellt, doch wenn ich es schon mit 18 angegangen wäre, hätte ich heute meine Kinder nicht. Blöde Gedanken 😉
    Ich habe mir angewöhnt, konsequent nach vorn zu blicken.
    Liebe Grüße

  4. Genauso geht es mir auch Stella,

    Habe leider erst mich mit Mitte 20 getraut mein wahres ICH auszuleben.
    Ich träume von einer Zukunft in der die Akzeptanz soweit fortgeschritten ist dass man sich schon in frühem Alter zu diesem Schritt ohne Scham bereit fühlt.
    Aber wir sind auf einem guten Weg dahin.

    Grüße
    Christina

  5. Schöner Beitrag!

    Mir geht es da sehr ähnlich. Eigentlich habe ich nichts im Leben bereut. Bis auf eine Sache… Und zwar die das ich mich 35 Jahre die männliche Rolle gespielt habe und nie ich selbst sein konnte. Wie gerne hätte ich meine Mädchenjahre erleben wollen und mich einfach so entwickeln können, wie es für mich richtig gewesen wäre.

    Teilweise hole ich ich Teile aus meiner mir fehlenden Kindheit nach. Spiele mit meiner Tochter mit Barbies, trage Schmuck den ich damals immer haben wollte, obwohl er mittlerweile aus der Mode gekommen ist. Auch vom Verhalten bin ich manchmal auch oft ein junges Mädchen.

    Trotzdem bleibt die Traurigkeit wegen der glücklichen Kindheit, die ich nie hatte.

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