Bedient Transsexualität nur Rollenklischees?
Je mehr das Thema Trans* und auch Transsexualität in den sozialen Netzwerken besprochen wird, um so mehr kritische Stimmen aus anderen Lagern sind zu hören. Stimmen, die beispielweise bemängeln, dass Transsexualität angeblich nur an Rollenklischees festgemacht wird. Grund dafür ist, dass Trans*Menschen beinahe in allen Biografien von ihrem Empfinden erzählen, bereits in der Kindheit Interesse an Dingen gehabt zu haben, die eher ihrem inneren Geschlecht entsprachen, als dem äußeren sichtbaren. Dies waren für sie die ersten Hinweise, dass sie Trans* sind. Was in den Augen der Kritiker nicht möglich ist, denn es gebe diese Klischees nicht und wären daher keine Aussage für Weiblichkeit und somit auch nicht für Transsexualität. Doch stimmt die Behauptung?
Warum ich mich zu diesem Thema äußere
Ich erzähle meine Geschichte nun schon seit fast 18 Jahren. Immer mit dem gleichen Inhalt, mal mehr mal weniger. Was darin auftaucht, ist meine Aussage, dass ich als Kind schon lieber Interessen hatte, die eher denen von Mädchen entsprachen. Mein Zimmer war auch mit Postern von den Spice Girls und der Sängerin Blümchen geschmückt, während meine Brüder ihre Wände mit Boybands und Hardrockern pflasterten. Ich hatte eine Lieblingsprinzessin, Belle von Disneys „Die Schöne und das Biest“ und bei meinen Brüdern spielte He-Man die oberste Liga. Später kam dann bei meinem mittleren Bruder und mir die Liebe für Lara Croft auf, wobei meine bis heute blieb. Mein Bruder wechselte da eher häufig die Personen, die er anhimmelte. Was anscheinend Pubertät bedingt war. Mein Anhimmeln war jedoch anderer Natur. Natürlich gab es auch das „Die sieht toll aus!“ und „Was für eine tolle Frau!“, aber das war nicht das einzige. Es kam da noch ein „So will ich auch sein!“ und ein „So will ich auch aussehen!“ dazu. Und mit Hilfe des Kleiderschranks meiner Mutter erschuf ich mir die Momente, in die Haut meiner Vorbilder zu schlüpfen. Zu ihnen zu werden. Das war im ganzen die Aussage, ein kleines bisschen erweitert, da ich hier nicht ganz auf Länge achten muss. Die Kernelemente sind: Ich habe lieber Mädchen-Interessen gehabt, mein Zimmer war voller Poster von Mädchenbands und Sängerinnen, ich hatte eine Lieblingsprinzessin und ich wollte so sein wie meine Vorbilder, was ich mit der Hilfe des Kleiderschranks meiner Mutter erreichte. Und für diese Aussage werde ich in letzter Zeit kritisiert, da sie angeblich Klischees in Verbindung mit Transsexualität bringt und suggeriert, wer ein abweichendes Rollenklischee ausführen würde oder Kleider tragen, wäre Trans*. Doch all das stünde nicht für Weiblichkeit und demnach wäre auch keine Erklärung für Transsexualität vorhanden. Das bei der Kritik einfach mal der wichtigste Punkt weggelassen wurde, darauf werde ich später eingehen. Erst einmal klären wir die Frage der sogenannten Rollenklischees.
Was sind Rollenklischees?
Wir kennen sie alle, die Klischees, mit denen Frauen und Männer, beziegungsweise Mädchen und Jungen, beschrieben werden. Mädchen lieben Rosa, schöne Kleider und Makeup. Jungen blau, Hosen und Fußball. Während Mädchen lieb und nett sind, werden Jungs zu Raufbolden. Mädchen sind künstlerisch und Jungen technisch begabt. Die Liste dafür ist unendlich. Und einfach gesehen, treffen viele der Eigenschaften und Interessen auf einen Großteil der Menschen zu. Vieles davon hat etwas mit dem Umfeld, der Gesellschaft und den daraus folgenden Erwartungen zu tun. Mit dem bionären System von Mann und Frau. Und je mehr Männer Macht bekamen und Frauen oftmals zu Randfiguren verkamen (denn das war in der Geschichte der Menschheit nicht immer so), um so mehr wurden diese Klischees gepflegt. Doch in den letzten Jahrzehnten gab es einen Umbruch, und Mädchen und Frauen waren nicht mehr nur auf „typische“ Dinge beschränkt, sondern können sich immer mehr frei entfalten. Und auch für Jungs steht immer mehr offen. Wir befreien uns also von diesen Klischees, und in einigen Jahren wird sicherlich der Großteil davon als altmodisch gelten.
Aus welchem Grund wir Idole wählen
Wir haben sie alle: Idole, denen wir nacheifern und als Vorbild nehmen. Äußerlich wie auch charakterlich. Dabei ist es egal, ob es sich dabei um Männer oder Frauen handelt, wenn uns der Charakter zu spricht. Dabei sind gleiche Themeninteressen von großer Wichtigkeit, wie auch unserer eigenen sexuellen Orientierung. Beim Äußeren richten wir uns aber eher nach dem gleichen Geschlecht. Mädchen beziehungsweise Jungen wollen wie ihr entsprechendes Idol aussehen. Gleiche Haarfarbe, gleicher Körper, gleiche Kleidung. Dabei wird es kaum dazu kommen, dass ein Junge eine Frau als Vorbild hat und sich ihren Körper wünscht. Ihr Erscheinungsbild. Es wird nun Stimmen geben, die sagen, dass es auch Jungs gibt, die zu Fasching als Elsa (die Hauptfigur aus dem Disneyfilm „Frozen“) gehen wollten. Aber für Kinder ist das Geschlecht völlig egal, auch ob Elsa lange Beine hat oder Brust. Sie mögen den Charakter, ihre Superkräfte und das Outfit hilft ihnen dabei. Trotzdem bleibt es bei diesem Spiel und sie bleiben ganz normale Jungen. Aber die Figur hat trotzdem Einfluss auf sie, in dem sie sich ihre Werte einverleiben. Und um diese anzuwenden, brauchen sie später keine „Verkleidung“ mehr. Junge Trans*Frauen wählen vor allem sehr weibliche Idole. Vorbilder, denen sie nacheifern wollen. Ein Ziel, welches sie vor Augen haben – Eine Art Katalog an Veränderungen, um perfekt zu sein. Um als Frau zu gelten. Trans*Frauen brauchen diese Klischees, um sich selbst zu definieren und tausende Cis-Frauen machen es ihnen vor. Auf unzähligen Instagrambildern zelebrieren sie ihre Weiblichkeit, spielen mit Klischees und inspirieren andere.
Geschichtliche Entwicklung und Umfeld beachten
Um mit den Kritikpunkten zu arbeiten, darf man auch nicht vergessen, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, dennn wie zu vor beschrieben, hat sich unser Verständnis der Rollenklischees in den letzten Jahren immer mehr verändert. Und meist waren es die Frauen, die für diese Verbesserungen auf die Straße gingen und sich mühevoll neue Rechte und Möglichkeiten erkämpft haben. Denke ich zurück an meine Kindheit, die Zeit, in der ich mich das erste Mal hinterfragt habe, dann war noch vieles anders. 1991, kurz nach der Wende. Das ganze Land war im Umbruch. Es war normal, dass die Männer die Hosen anhatten und das Geld nach Hause brachten, während sich die Frauen um Haushalt und Kindererziehung kümmerten. Jungs spielten Fußball und Mädchen mit Puppen. Wer etwas anderes außerhalb dieser Klischees tat, galt als anders und sonderbar. Von modern sprach zu dieser Zeit noch niemand. Wenn ich also von meiner Kindheit und meinem Empfinden spreche, dass ich mich nicht mit Jungen identifizieren konnte, weil ich eher typische Mädchen-Dinge im Kopf hatte, dann ist es auf diese Zeit bezogen, kein Klischee, sondern der Zeit entsprechend. Deshalb bringt es nichts, Menschen für ihre Aussagen zu kritisieren, die sich auf ganz andere Zeiten beziehen.
Ein weiterer Punkt wäre das Umfeld, in dem ein Kind aufwächst. In einem Dorf, in einer christlichen Gemeinde, und so weiter, wird mit Klischees auch noch heute anders umgegangen, denn da gehen die Veränderungen meist langsamer von statten. Dadurch erleben die Betroffenen die Welt auch ganz anders, somit äußert es sich auch in ihren Geschichten anders. Ein kleines Dorf ist nicht zu vergleichen mit einer Großstadt. Die Menschen machen an diesen beiden Orten ganz andere Erfahrungen und selbst da gibt es gewaltige Unterschiede, rückblickend auf die letzten 50 Jahre.
Frauen plus Kleid gleich Klischee?
Ein Kleid ist ein typisches Frauenkleidungsstück, oder? Die Antwort wäre hier Ja und Nein. Bis das Schneiderhandwerk kompliziertere Formen zuschneiden und verarbeiten konnte, bestanden alle Kleidungsstücke aus quadratischen oder rechteckigen Formen, die entweder gewickelt wurden oder mit einem Gürtel gerafft. Dabei gab es kaum Unterschiede zwischen Frauen und Männern, beide Geschlechter trugen eine Art Kleid oder Rock. Denn Hosen waren zu kompliziert in der Herstellung. Im Mittelalter hatten sich die Techniken verbessert und die Beinlinge kamen in Mode, eine sehr enganliegende Hose. Die Kleider blieben, waren jetzt aber mehr körperbetont. Während Das Männerbein als Schönheitsideal galt, dass durch die kurze Bekleidung gut zur Geltung kam, mussten die Frauen züchtig sein und ihre Beine unter langen Kleidern verstecken. Zwar durften sie in späteren Jahrhunderten auch immer mehr ihre Weiblichkeit in den Vordergrund stellen, mit tiefen Dekoltee, schmalen Taillen und ausladenden Hüften, doch das Bein blieb stets bedeckt. Erst nach 1900 wurden die Röcke enger und langsam auch kürzer. Erst in den 1960er durften auch immer mehr Frauen Hosen tragen. Auch wenn heute Hosen und Kleider tragen dürfen, wie ein Mann in einem Kleid auch normal sein sollte, stehen Kleider weiterhin für sie für Weiblichkeit. Damit meinen sie nicht das Geschlecht, sondern die Zonen, die durch den Schnitt hervorgehoben werden und sich durch die Biologie unterscheiden. Wie damals ist es auch heute bei Frauen das Dekoltee, die Taille und die Hüften bzw. das Becken. Trans*Frauen bedienen sich dieser „Klischees“, um sich ebenfalls weiblich zu fühlen, wie andere Frauen auch. Sie nutzen sie auch, um ihrem Gegenüber mitzuteilen. „Ich trage ein Kleid, denn ich bin eine Frau.“ Es dient dazu, kritischen Fragen aus dem Weg zu gehen, bevor sie überhaupt entstehen und der einfachste Weg dabei ist, Klischees zu bedienen.
Transsexualität ist mehr als nur Klischees
Natürlich sind diese (aus der heutigen Sicht) Klischees kein Indiz für Transsexualität, denn auch Jungs können mit Puppen spielen und Makeup und Kleider mögen. Und auch kein Psychologe wird daraufhin eine Entscheidung fällen, dass ein Kind transsexuell ist. Kinder sollen sich ausprobieren und die welt auf ihre Art entdecken, ohne dass wir sie durch ein aufgezwungenes Rollenverhalten einschränken. Nehmen wir mal wieder mich und meine Brüder zum Beispiel: In unserer Kindheit haben wir alle zusammen bei der Nachbarin mit ihrer Tochter mit Barbies gespielt. Inklusive Ken und Barbiehaus. Und wer meine Geschwister heute kennt, der weiß dass ihnen dies nicht „geschadet“ hat oder sie sich vielleicht anders entwickelt haben. Trotzdem nutzen wir das Verhalten als Unterscheidung, denn es gibt Dinge, die sind auf unserer „Festplatte“ fest verankert. Zum Beispiel das Mädchen mit Puppen spielen, weil sie einem Urinstinkt folgen: Dem Mutterinstinkt. Jungs zeigen gerne Stärke und kämpfen gerne, egal ob bei Rauferein oder beim Fußball, was auch zu den Urinstinkten gehört: Dem Jagdinstinkt. Und von diesen Urinstinkten haben wir viele, wie zum Beispiel die Angst vor Dunkelheit, oder Angst allgemein. Es gibt also Klischees, die sind mit uns unweigerlich verbunden, weil sie Teil der menschlichen Entwicklung sind. Über viele Jahrtausende. Doch wenn wir über Transsexualität sprechen, dann dürfen wir nicht nur auf dieses abweichende Rollenverhalten blicken. Für viele Transsexuelle ist der falsche Körper ein Gefängnis, in dem ihr wahres ICH gefangen ist. Sie lehnen ihn ab, weil er eben dem Empfinden nicht entspricht. Bei Kindern ist es noch nicht akut, denn bis zur Pubertät ist der eigene Körper erst einmal nicht ganz so wichtig. Da fragt sich derjenige eher, warum er bestimmte Dinge nicht tun darf, obwohl es andere dürfen. Warum es falsch ist oder mit Spot kommentiert wird. Für sie sind es die einzigen Anhaltspunkte, um sich ihrem Umfeld zu erklären. Sobald der Körper beginnt sich zu entwickeln und auch das Verständins dafür, beginnen die ersten Probleme. Das Hinterfragen wird größer und bezieht sich nicht mehr nur auf das Verhalten. Mit jeder weiteren Veränderung in die falsche Richtung, fühlt sich die betroffene Person immer unwohler. Sie weiß ganz genau was oder wer sie ist, doch man sieht es ihr nicht an. Am Ende bleiben somit nur die Ablehnung des Körpers und das nicht Erfüllen von Klischees, um sich zu erklären. Es liegt an einem Psychologen zu erkennen, was hinter all dem steckt. Die betroffene Person zu begleiten, sich selbst zu erkennen. Dies ist meist der Inhalt der Texte, auch meines. Doch diese Aussagen werden gar nicht mit in die Diskussion aufgenommen. Hartnäckig wird wiederholt, dass nur Klischees genutzt werden, was aber nicht stimmt.
Transsexualität ohne Klischees erklären
Hätte ich mich als Kind erklären müssen, warum ich lieber ein Mädchen sein möchte, dann hätte ich wahrscheinlich gesagt: „Weil ich Kleider liebe und lange Haare und mit Puppen zu spielen.“ Damit hätte ich schon ziemlich viele Klischees erfüllt, die ein Mädchen beschreiben soll. Aber als Kind waren mir Brüste, volle Lippen und weibliche Kurven völlig egal. Das kam erst mit der Pubertät, mit dem Vergleichen und den Idolen. Denn es fehlte mir vieles, um wie sie zu sein. Wer heute in meiner Wohnung steht, der würde auch vieles entdecken, was man als „typisch“ für Mädchen benennen würde: Zwei Regale voller Schuhe, ein Schlafzimmer in weiß und Pink und Katy Perry strahlt von vielen Wänden. Von der Vielzahl an Disney Prinzessinen ganz zu schweigen. Doch ich besitze das nicht, um irgendwelche Klischees zu erfüllen und um als ein perfektes Mädchen zu gelten, sondern weil es mir gefällt. Schon immer. Privat gibt es nur selten Momente, in denen ich mal wirklich alle Klischees erfülle, selbst von der Kleidung und Aussehen her. Die Idole und Vorbilder gibt es trotzdem und hin und wieder eifer ich ihnen nach. Würde man mich heute danach fragen, woher ich weiß, dass ich eine transsexuelle Frau bin, dann würde ich antworten: „Ich weiß es einfach. Es ist dieses unbeschreibliche Gefühl, so richtig zu sein. Nur mein Körper passt nicht. Es fällt mir schwer, mich nackt im Spiegel zu betrachten, denn im Vergleich zu anderen Frauen sind die Unterschiede zu groß. Doch mit jeder Veränderung in die richtige Richtung wird es leichter und ich mag mich mehr.“ Es geht um das Wohlfühlen. Wenn wir etwas nicht mögen oder als Falsch erachten, dann fühlen wir uns unwohl. Wir können nicht genau sagen warum, doch wir wissen es ist so. Als Trans*Frau kann ich natürlich nicht sagen, wie eine Frau fühlt, weil mir viel in der Entwicklung fehlt, wie auch die gemachten Erfahrungen. Alles was mir bleibt, ist das Wissen, endlich ICH zu sein und das fühlt sich verdammt gut an. Natürlich fühle ich mich weiblicher, wenn ich ein Kleid oder hohe Schuhe trage, aber diese Dinge machen nicht meine Weiblichkeit aus. Es sind vor allem mein Körper, meine Gedanken und Gefühle.
Fazit
Transsexualität lässt sich nicht nur an vertauschten Rollenklischees festmachen, diese haben ja inzwichen fast keine Bedeutung mehr. Auch wenn Homosexualität dazu addiert wird, ist es noch nicht ausschlaggebend. (Hiermit verweise ich mal auf den Text zu den Mythen über Transsexualität) Doch in Zusammenhang mit dem Ablehnen des eigenen Körpers sollte man schon näher hinschauen. Klarheiten brauchen Zeit und sollten nicht über das Knie gebrochen werden. Nur wer sich zu 100% sicher ist, ohne ein vielleicht, der kann über weitere Schritte nachdenken. Und auch wenn sich so manche Geschichte bei ein paar der Klischees bedient, so sollte man immer die geschichtlichen Hintergründe im Auge behalten und den Erzählenden nicht nur auf die angewandten Klischees beschränken. Die Geschichten von transsexuellen Menschen sind so viel mehr, als die kleine Randnotiz mit Geschlechterklischees. Sie sind nur eine kleine zusätzliche Erklärung zum Erlebten und Empfundenen und dies sollte niemand jemanden abstreiten. Es wichtig diese Geschichten zu hören und nicht durch sinnlose Streitigkeiten zu zerstören.
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