Ein Trans*Märchen für Kinder
Dank meiner Tochter, schreibe ich seit langem endlich wieder Märchen und Geschichten. Seit Anfang Januar hab ich über 40 Seiten geschrieben, fünf Märchen für Kinder und Erwachsene und eine Geschichte, die anscheinend kein Ende nehmen will, denn mir kommen immer mehr Ideen. Eine super Entspannung für die Seele. Angefangen hat alles mit einem Märchen mit dem ich, auf meine Art und Weise, meiner Tochter erklären wollte warum ich so bin wie ich bin. Ich hab da viel Herzblut und Liebe reingesteckt. Und beflügelt davon hab ich täglich an neuen Texten geschrieben.
Und nun gebe ich euch die Gelgenheit in meine Fantasie einzutauchen. Und bevor die Frage kommt warum ich dieses Bild, als Titelbild gewählt habe: Seit meiner Kindheit fasziniert mich dieses Gemälde („Der Junge in Blau“ von Thomas Gainsborough), denn der Junge darauf sah aus wie mein Zwillingsbruder. Und es passt perfekt zu diesem Märchen. Und nun viel Spaß beim Lesen …
Der Prinz, der lieber
eine Prinzessin sein wollte
Es war einmal, in einem weit entfernten Land, da lebte ein Königspaar, das hatte einen Sohn, der war stets zu jedermann freundlich und hilfsbereit. Aber anders, als die anderen Prinzen, hatte der Jüngling weder Lust auf Ritterspiele noch auf Fechtunterricht. Lieber las er von verwunschenen Prinzessinnen oder klugen Königstöchtern und träumte von rauschenden Festen und Kostümbällen. Oft beobachtete er heimlich die feinen Damen bei Hofe in ihren fürstlichen Kleidern und wünschte er könnte auch so schöne Roben tragen. Und obwohl es sein innigster Wunsch war, so erzählte er niemanden davon, aus Angst, dass die anderen ihn deswegen verspotten würden. Nur der Abendstern, der jede Nacht vor seinem Fenster strahlte, wusste von seinen geheimen Wünschen und Träumen. Der König und die Königin sahen, dass der Prinz immer weniger Interesse an den Dingen zeigte, die Jungen nun mal gerne machen. Aus Sorge riefen sie all ihre Gelehrten und Berater zusammen, die den Königssohn sogleich untersuchten. Und da der Prinz kein Wort mit ihnen sprach, steckten sie ihre Nasen tief in ihre dicken Bücher und befragten die Sterne und Orakel, doch sie fanden keine Antwort und konnten nicht weiterhelfen. Und so wuchs der Kummer des Prinzen jeden Tag etwas und er wurde immer trauriger und stiller, bis er kaum noch mit jemandem sprach.
Eines Tages erschien ein Bote im Schloss. Der Königs des Nachbarlandes wollte ein großes Fest geben, zu dem alle Königspaare mit ihren Töchtern und Söhnen eingeladen waren.
„Das ist eine gute Gelegenheit.“ sprach der König zu seiner Frau. „Wenn unser Sohn mit den anderen Jünglingen zusammen ist, dann wird er schon Freude am Jagen und Kämpfen finden. Sie werden ihn erheitern und wieder zum Lachen bringen.“ Doch als der Prinz davon erfuhr, wurde sein Kummer noch größer.
Am Abend blickte der junge Königssohn lange aus dem Fenster und sprach schließlich zum Abendstern: „Mutter der Sterne, du funkelndes Licht am Himmelszelt, kennst jeden meiner Wünsche und Träume. Warum nur, bin ich wie ich bin? Ach wäre ich nur wie Jedermann!“ Und wie er seine letzten Worte beendet hatte, so wurde das Leuchten des Abendsternes immer heller und klarer, bis das ganze Zimmer des Königssohns ganz in blau erstrahlte und vor ihm über dem Boden ein kleines Licht schwebte. Das winzige Licht wurde immer größer und größer bis eine zarte Gestalt heraustrat. Vor ihm stand nun eine wunderschöne Fee in einem prunkvollen langen Kleid, dass die Farbe des Nachthimmels hatte. Ihr Haar war so blau wie das Meer und glitzerte und funkelte, als wäre es mit kleinen Sternen geschmückt. Sanft schwebte es auf und ab, obwohl kein Lüftchen zu spüren war.
„Gräme dich nicht mein Kind und halte ein mit deinen dunklen Gedanken.“ sprach sie mit sanfter Stimme und lächelte milde. Der Jüngling blickte ehrfürchtig zu der geheimnisvollen Schönen auf und fragte zaghaft: „Wer seit ihr und wo kommt ihr her?“ Die blaue Gestalt setzte sich zu dem Jüngling auf das Bett und strich ihm durch das dunkle Haar.
„Jeden Abend blickst du zu mir auf und erzählst mir von deinen Wünschen und Träumen und ich sehe wie du dich Nacht für Nacht in den Schlaf weinst.“
„Du bist die Mutter der Sterne!“ Der Abendstern nickte.
„Ich kenne deinen Kummer ganz genau. Versuche nicht wie ein Jeder zu sein. Höre stattdessen auf dein Herz und sei so wie es dir gefällt. Auch du wirst dein Glück finden!“ Die Fee zog einen Ring von ihrem Finger und legte ihm dem Prinzen in die Hand. „Nimm diesen Ring und schenke ihm dem Menschen, der dein wahres Ich erkennt!“ Der Jüngling dankte dem Abendstern für das Geschenk und sie blieb noch bei ihm und streichelte sein Haar, bis er eingeschlafen war. Zum Abschied gab sie ihm noch einen sanften Kuss auf die Stirn und schenkte ihm einen wunderbaren Traum.
Am nächsten Morgen ritt die Königsfamilie ins Nachbarland wo die große Festlichkeit stattfinden sollte. Aus allen Ländern und Ecken der Welt waren die königlichen Familien angereist, selbst aus dem wilden Afrika, dem fernen Indien und anderen exotischen Orten, die der Königssohn nur aus seinen Büchern kannte. Mit großen Augen bestaunte der junge Prinz all die farbenprächtigen und prunkvollen Kleider und Roben, aus kostbaren Stoffen und Materialien, manchmal reich besetzt mit funkelnden Steinen, bunten Federn oder glänzendem Fell.
Und während die Eltern den neusten höfischen Tratsch und Klatsch austauschten, gab es für die Jünglinge und Mädchen allerlei Spiel und Spaß, wo sie sich vergnügen konnten. Auch wenn er mit schwerem Herzen den Mädchen nachblickte, versuchte sich der Prinz, aus Liebe zu seinem Vater und seiner Mutter, an all den Jungenspielen. Doch er war nicht so draufgängerisch und ungestüm wie die andren Prinzen. Und so lachten und scherzten sie lauthals über den jungen Königssohn, als sie ihm abermals das Schwert aus der Hand schlugen. Schluchzend lief er davon und noch lange hallte das boshafte Gelächter der anderen Knaben in seinen Ohren. Voller Tränen setzte er sich unter eine alte Statue im königlichen Garten und hoffte, dass der Tag bald ein Ende nehmen würde.
„Hey du, warum ziehst du so ein Gesicht?“ hörte er eine Stimme fragen. Vor ihm stand ein Jüngling mit blonden kurzen Haaren, auf der Brust ein königliches Wappen. „Du kannst wohl nicht sprechen?“ Der Prinz, noch immer voller Tränen, blickte schluchzend zu dem fremden Knaben auf. „Ich bin Prinzessin Alina, doch ein jeder nennt mich nur Ali.“ sprach der freundliche Fremde keck und streckte ihm die Hand entgegen.
„Du bist die Prinzessin?“ fragte der Prinz ungläubig.
„Du kannst ja doch sprechen!“ lachte die Prinzessin mit den Knabenkleidern während sie auf dem Mauersims balancierte.
„Aber du bist wie ein Junge gekleidet und dein Haar ist so kurz wie meines!“ Der junge Prinz war verwundert und neugierig zu gleich.
„Kleider und langes Haar stören nur beim Schwertkampf.“ entgegnete die Königstochter und machte ein paar kunstvolle Bewegungen, als würde sie eine Waffe führen. Der Jüngling wischte sich die letzte Träne aus dem Gesicht und die Prinzessin setzte sich zu ihm. „Weißt du,“ begann sie zu erzählen, “schon immer träumte ich davon, ein Ritter zu werden, um mit Schild und Schwert gegen Drachen und Ungeheuer zu kämpfen. Deswegen wollte ich lieber all die Dinge tun, die nur für Buben sind. Vater und Mutter waren erst sehr aufgebracht über meinen Wunsch, doch aus Liebe zu mir erfüllten sie ihn.“ Auch wenn ihrer Mutter am Anfang das Herz zerbrach, als sie ihre Tochter in Knabenkleidung beim Schwertkampf, anstatt in einem edlen Kleid beim Tanze erblickte, so sah sie doch wie glücklich ihre Tochter war. Schließlich wurde die Prinzessin mit den anderen Jünglingen unterrichtet und durfte auch der Jagd beiwohnen. Und nach einigen Jahren schoss und kämpfte sie genauso gut wie jeder andere Knabe des Königreichs. Der Prinz lauschte andächtig den Erzählungen der Königstochter und schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und berichtete auch ihr von seinen Wünschen und Träumen, glücklich darüber endlich jemanden gefunden zu haben, die genauso ist wie er.
Kaum das er fertig gesprochen hatte, ergriff die Prinzessin seine Hand und eilte mit ihm rasch wieder ins Schloss zurück. In ihrem Zimmer befand sich eine Truhe gefüllt mit den schönsten Kleidern, von denen sich der Prinz eines aussuchen durfte. Sie half ihm geschwind in ein dunkelblaues Kleid, das mit silbernen Fäden durchzogen war, die im Sonnenlicht wie die Sterne am Nachthimmel funkelten. Unter einer Perücke mit langen blonden Locken versteckten sie sein kurzes Haar.
„Nun siehst du aus wie eine richtige Prinzessin!“ sagte die Prinzessin, als sich der Prinz freudestrahlend im Spiegel betrachtete. „Vielleicht bist du auch nur eine verwunschene Königstochter und ich ein verzauberter Prinz.“ lachte sie und gab ihm einen Kuss. Dem jungen Prinzen stieg die Röte ins Gesicht und sein kleines Herz schlug wie wild. „Nun aber geschwind, sonst verpasst du doch alles!“ Die Prinzessin ergriff wieder die Hand des Prinzen und zog ihn hinaus.
„Aber was mache ich, wenn mich jemand erkennt?“ fragte der Prinz zögerlich. „Ach was,“ entgegnete ihm die Prinzessin, „hier sind heute so viele Menschen, da wird dich schon niemand erkennen. Sei einfach bei Sonnenuntergang wieder zurück.“ Der Prinz nahm seinen ganzen Mut zusammen und folgte der Prinzessin.
Was war das für ein Spaß für den jungen Königssohn. Bis zum Abend konnte er endlich all die Dinge machen, von denen er schon immer geträumt hatte. Am Anfang war er noch etwas schüchtern, weil er immer Angst hatte erkannt zu werden, doch schnell wurde er immer mutiger. Zusammen mit den anderen Prinzessinnen wurde er in den neusten Tänzen unterrichtet, spielte mit ihnen Ball und musizierte an der Harfe. Am Nachmittag machten sie auf der großen Schlosswiese ein Picknick, bei denen die Mädchen und er bunte Blumenkränze flochten und süßen Nektar tranken. Vergnügt spielten sie Fangen im hohen Gras und genossen die warme Sonne. All die Last und der Kummer verschwanden mit jeder Stunde und der junge Königssohn war so glücklich wie noch nie. Nur einmal kurz überkam ihn wieder die Ängstlichkeit, als er zusammen mit den Königstöchtern den Weg seiner Eltern kreuzte, die sich gerade mit anderen Königspaaren zum Tee trafen. Doch sie lächelten nur nett, als sie die Mädchen passierten. Niemand vermutete unter all den Prinzessinnen eine falsche, die eigentlich ein Prinz war.
Als die Sonne am Horizont verschwand, kehrte er wieder ins Zimmer der Königstochter zurück, die ihn schon erwartete. Wehmütig legte er wieder seine Knabenkleidung an und als er in seine Westentasche griff, da ertastete er den Ring, den er vom Abendstern bekommen hatte. Zum Dank für den schönen Tag schenkte der Prinz das kleine Schmuckstück der Prinzessin, damit sie ihn niemals vergessen möge. Beim Abschied lagen sich beide noch einmal lange in den Armen und schworen, sich einander immer zu gedenken. Der Vater und die Mutter des Prinzen, welche die Prinzessin nicht erkannten, freuten sich, dass der junge Königssohn wieder lachen konnte und sie glaubten, er hätte endlich einen guten Freund gefunden. So ritten sie wieder glücklich in ihr Königreich.
Auch an diesen Abend blickte der Prinz aus dem Fenster und sprach voller Hoffnung: „Mutter der Sterne, du funkelndes Licht am Himmelszelt, kennst jeden meiner Wünsche und Träume. Ich bin gerne wie ich bin! Ach wäre ich nur immer so!“ Müde und glücklich sank er in sein Bett und schlief gleich darauf tief und fest ein. Wie in der Nacht zuvor, erstrahlte sein Zimmer in blauen Licht und der Abendstern erschien. Sanft beugte sie sich über den Prinzen und flüsterte in sein Ohr: „Von nun an soll für dich jeder Tag wie der heutige werden, meine kleine Prinzessin.“ Die Fee lächelte milde und küsste den Jüngling sanft auf die Stirn. Und dort, wo ihre Lippen seine Haut berührt hatten, entstand ein Funkeln und Leuchten, das sich immer mehr ausbreitete und bald seinen ganzen Körper umschloss. Leise flüsterte sie wieder und wieder eine magische Formel, bis der Zauber komplett war und sie wieder als Abendstern an ihrem Platz am Himmel zurück kehrte.
Als der Prinz am nächsten Morgen erwachte, wollte er seinen Augen nicht trauen, denn durch den Zauber des Abendstern, war über Nacht aus dem Jüngling ein Mädchen geworden. Wie erschrak da das Königspaar, als sie ein fremdes Kind erblickten. „Vater, Mutter, ich bin es!“ sprach die Prinzessin, die letzte Nacht noch ein Prinz war. Und so erzählte die Königstochter von all ihrem heimlichen Kummer und Leid, von der Prinzessin, die wie ein Knabe gekleidet war und ihrem Wunsch an den Abendstern. Da erkannte das Königspaar in dem Mädchen ihren Sohn und es fielen sich alle in die Arme. Von nun an wurde in dem Königreich nur noch von der strahlenden Prinzessin gesprochen und bald war der traurige Prinz vergessen.
Die Jahre zogen ins Land und der König wollte seine Tochter vermählen. Aus allen Königreichen kamen die Prinzen angereist, um sich bei der Prinzessin vorzustellen. Doch keiner der Jünglinge gefiel ihr so recht. Gerade als sie schon die Hoffnung aufgab kam ein adretter junger Mann mit blondem Haar an den Hof geritten. Auch er wollte um die Hand der Königstochter anhalten. „Ich glaube, das gehört euch!“ sprach der fremde Königssohn und hielt der Prinzessin ein kleines Ringlein hin, das sie sofort erkannte. Es war der Ring des Abendsterns und da erkannte die Prinzessin auch den Prinzen wieder. Es war die Prinzessin aus dem anderen Königreich, die nun ein Jüngling geworden war. Was war da die Freude groß und so gleich gab es ein Fest und am Tage darauf wurde Hochzeit gefeiert. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
© Januar 2017 Stella Stützner
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