(Das Thrymlied aus der Edda, frei nach den Übersetzungen von Karl Simrock und Felix Genzmer)
Eines Morgens bemerkte der mächtige Thor mit Schrecken, dass sein Hammer fehlte. Vergebens durchsuchte er, wild sich den Bart raufend, alle Räume seines Hauses. Doch der Hammer war verschwunden.
So blieb ihm nichts anderes übrig, als Loki von seinem Missgeschick zu erzählen. Der listenreiche Gott konnte sein schadenfrohes Lächeln kaum verbergen. „Vielleicht haben die Riesen ihn gestohlen,“ sprach Loki schnell, als er Thors grimmigen Blick sah, „wenn du willst, werde ich bei ihnen nachforschen. Aber dazu brauche ich Freyjas Falkengewand.“ Thor willigte mürrisch ein, und sie schritten zu Freyjas Hof.
Der Donnergott bat die schöne Fruchtbarkeitsgöttin, ihnen das Falkengewand zu borgen damit Loki nach dem Hammer suchen konnte. Freyja überlies ihnen das magische Gewand und Loki machte sich sofort auf zu den Riesen. In der Gestalt eines Falken rauschte er durch die Lüfte, bis das Heim der Asen[ref]nord. Myth. Kriegsgötter[/ref] hinter ihm lag und vor ihm die weite Flur der Riesen.
Auf einem Hügel befand sich die Halle des Thurfen König. Dieser schmückte gerade seine Hunde mit goldenen Bändern und strich den Pferden die Mähnen glatt. Trotz seiner Falkengestalt erkannte er Loki und rief ihm zu: „Was gibt’s bei den Asen? Was gibt’s bei den Alben?[ref]nord. Myth. Wesen zwischen Menschen und Göttern (z.B. Elfen, Zwerge, Druden, usw.)[/ref] Was trieb dich allein nach Thurfenheim?“
Loki antwortete: „Schlimm geht’s den Asen! Schlimm geht’s den Alben! Hältst du Thors Hammer versteckt?“ Der König der Riesen lachte lauthals auf, so das die Erde bebte: „Ja, und ich vergrub ihn acht Meilen unter der Erde. Niemand wird den Hammer je wieder zurück holen, außer … Freyja, die schönste aller Göttinnen, wird meine Frau!“
Geschwind machte Loki sich wieder auf zu den Asen, um Thor zu berichten. Der erwartete ihn bereits und rief ihm zu: „Hast du erfahren wer meinen Hammer hat?“ Loki nickte zustimmend: „Thyrm, der Thurfen König, hat ihn. Er gibt ihn jedoch nur wieder heraus, wenn Freyja seine Frau wird.“
Zusammen gingen sie wieder zu Freyjas Hof und Thor bettelte sie an: „Bitte Freyja, lass dich als Braut herrichten und reise mit mir nach Riesenheim!“ Über diese Bitte war die schöne Fruchtbarkeitsgöttin so erbost, das ihr goldenes Halsgeschmeide Brisingamen[ref]nord. Myth. Eine von vier Zwergen geschmiedete Kette[/ref] auf und ab sprang. „Liebestoll müsste ich sein, würde ich mit dir nach Riesenheim reisen!“
Thor war ratlos. Ihm blieb nichts anderes übrig, als den anderen Asen zu berichten, das ihm, dem mächtigen Thor, die stärkste Waffe gegen die Riesen gestohlen wurde.
Die Götter und Göttinnen versammelten sich und berieten aufgeregt wie Thors Hammer zurück geholt werden könnte. Der einäugige Odin, der höchste der Götter, musste immer wieder für Ruhe unter den Anwesenden sorgen. Schließlich hatte Heimdall, der schlauste der Asen, eine Idee: „Richten wir doch Thor als Braut her! Er soll Freyjas breites Halsgeschmeide tragen! Lassen wir ihm Frauenkleider aufs Knie fallen und breite Steine auf die Brust legen und türmen wir ihm hoch den Hauptschmuck!“
Thor war empört: „Weibisch werden mich die Wanen[ref]nord. Myth. Fruchtbarkeitsgötter[/ref] und Asen nennen, ließe ich mich als Braut herrichten!“ Doch Loki sprach: „Sprich nicht so! Denn wenn du deinen Hammer nicht wieder bekommst, dann dauert es nicht lange und die Riesen werden in diesen Hallen herrschen.“ Thor seufzte und stimmte schließlich Heimdalls List zu.
Sofort machten sie sich an die Arbeit den Gott als Braut herzurichten. Thor schlüpfte in Frauenkleider und Freyja gab ihm das goldene Brisingamen. Sie ließen ihm Frauenkleider aufs Knie fallen und breite Steine auf der Brust liegen und türmten ihm den Hauptschmuck hoch.
„Ich werde mit dir kommen,“ sprach Loki zu Thor und ein kleines Grinsen huschte über sein Gesicht, als er den mächtigen Donnergott vor sich sah. „Reisen wir doch zusammen nach Riesenheim. Ich werde dich als deine Dienerin begleiten.“ Der Gott des Donners war Loki dankbar für diesen Vorschlag. Sie spannten die Böcke „Blitz“ und „Donner“ vor Thors Wagen und der Donnergott zwang sie zur Eile, dass die Berge nur so unter ihnen hinweg rasten.
Voller Freude empfing der Riesenkönig die vermeintliche Braut und ihre Dienerin in seinen Hallen. „Ich hab so vielen Schmuck und so viele Schätze, nur Freyja hat mir noch gefehlt.“ sprach der Riese zufrieden. Heimdalls List funktionierte, denn der König erkannte weder Thor, der seinen Schleier tief ins Gesicht gezogen hatte, noch erkannte er Loki, der ein ausgezeichneter Gestaltwandler war. Thyrm lies sogleich ein Fest ausrichten, um seine Vermählung mit der falschen Freyja zu feiern.
Am Abend versammelten sich alle Riesen in der großen Halle und nahmen an der gewaltigen Tafel platz. Thor, der ein begeisterter Esser war, verschlang, trotz Lokis Warnungen, einen Ochsen, acht Lachse und alles Backwerk, welches für die Frauen bestimmt war. Schließlich trank er noch drei Maß Met. Der Riesenkönig betrachtete erstaunt das Schauspiel und sprach: „Wer sah je eine Braut so gierig schlingen? Ich sah noch nie eine Braut so gierig schlingen oder ein Mädchen so viel Met trinken.“
Loki vernahm die misstrauischen Worte des Königs, und versuchte ihn sofort zu umgarnen. „Freyja aß acht Nächte lang nichts, so sehr sehnte sie sich nach dem Saale Thryms.“ sprach er zu dem Riesen, um das seltsame Verhalten der Braut zu erklären. Der König gab sich mit der Antwort zufrieden und rutschte näher zu dem als Freyja verkleideten Thor.
Dieses Weib war nach dem Geschmack von Thyrm. Er rutschte noch etwas näher und lüftete etwas den Schleier um seine Zukünftige zuküssen. Erschrocken machte er einen Satz nach hinten und sprach zu Loki: „Wie furchtbar sind Freyjas Augen! Wie Feuer flammt es aus Freyjas Blick!“ Auch dieses Mal beruhigten Lokis Worte den König der Riesen. „Freyja schlief acht Nächte lang nicht, so sehr sehnte sie sich nach dem Saale Thryms.“
Der König beruhigte sich wieder und sprach schließlich zu den anwesenden Riesen: „Freya, die holde Fürstin der Asen, haben die Götter mir als Gattin gesandt. Bringt den Hammer, die Braut zu weihen. Legt ihn der Maid in den Schoß und vermählt uns nach alter Sitte.“ Als Thor den Hammer in den Schoß bekam lachte das Herz ihm im Leibe. Gestärkt durch die Kraft seines Hammers, erschlug er erst den Thursen König und dann das ganze Geschlecht der Riesen.
So holte Thor seinen Hammer zurück.