(Frei nach den „Methamorphosen“ von Publius Ovidius Naso (1 n. Chr.), Buch 9, Vers 704-797, in der deutschen Übersetzung von R. Suchier)
Vor langer Zeit lebte ein Mann namens Ligdus, ein einfacher Bürger, rein von Tadel und Schuld. Seine Frau erwartete ein Kind und so sprach er mahnend zu ihr, als die Zeit der Entbindung nahte: „Zwei Wünsche hätte ich: das du wenige Schmerzen erleidest und das du mir einen Knaben schenkst. Das andere Geschlecht wäre nur eine Bürde und würde uns die Mittel zum Glück versagen. Falls – der Himmel bewahre uns davor – du ein Mädchen zur Welt bringen würdest, so müsste ich es schweren Herzens töten.“ Und beide benetzen ihr Antlitz mit Tränen, er, der so einen Befehl gab und sie, die seinem Befehl gehorchen musste. Immer wieder bat Telethusa verzweifelt ihren Mann, ihr doch wenigstens ein bisschen Hoffnung zu geben, doch Ligdus beharrte auf seinen Entschluss.
Die Geburt rückte immer näher und Telethusas Angst und Sorge wurde jeden Tag größer, bis eines Nachts Isis mit ihrem Gefolge vor ihrem Nachtlager erschien. Zwei mondähnliche Hörner zierten die Stirn der Göttin und golden schimmernde Kornähren sowie das königliche Diadem. Ihr folgten unter klappern und getön der Totengott Anubis, die gefleckte Apis und die heilige verehrte Bastet. Sowie der zum Schweigen mahnende, wenig verehrte Osiris und mit dem schlafbringendem Gift die ägyptische Schlange. Da sprach die Göttin: „Telethusa, du eine der Meinen. Gräme dich nicht mehr. Gehorche nicht dem Befehl deines Mannes und bringe dein Kind zur Welt. Behalte es, ganz gleich was es sei. Ich werde dir helfen und dir beistehen, doch nur wenn du mir weiterhin die Treue schwörst.“ Mit diesen Worten verließen sie und ihr Gefolge wieder die Kammer. Da erwachte Telethusa und hob sogleich die Hände demutsvoll zu den Sternen und flehte um die Erfüllung des Traumes.
Schließlich war es soweit und die Bürde drängte sich selbst zum Licht und Telethusa gebar ein Mädchen. Sie erinnerte sich an den Traum und behielt das Kind, trotz des Befehls ihres Gatten. Sie wollte das Kind als Jungen erziehen und verriet deshalb Ligdus nicht das wahre Geschlecht, welches nur sie und die Amme kannten. Der glückliche Vater gab dem Kind den Namen seines Vorfahren: Iphis. Die Mutter war sehr erfreut darüber, denn der Name war dem eines Mädchen wie eines Jungen gleich und der fromme Betrug blieb undurchschaut. So kleidete Telethusa ihr Kind in der Tracht eines Knaben und egal ob es das Antlitz eines Mädchen oder eines Jungen war, erschien es jedem schön.
Als Iphis das 13 Lebensjahr erreichte wurde sie mit der blonden Ianthe verlobt, deren Schönheit weit gepriesen wurde. Sie hatten das gleiche Alter und lernten seit ihrer Kindheit bei den selben Lehrern. Und so schlich sich die Liebe in die jungen Gemüter und beide litten sie gleich vom Drang. Doch ungleich war ihre Erwartungen. Voller Vorfreude ersehnte Ianthe die Hochzeit um den vermeintlichen Mann bald den ihren zu nennen. Auch Iphis liebte was sie nie besitzen konnte und ersehnte die Vereinigung, so steigerte Verzicht ihre Glut. Und die Jungfrau brannte für die Jungfrau.
Den Tränen nahe sprach sie zu sich selbst: „Wie soll es mit mir Enden, da ich diesen Wunsch nach unnatürlicher Vereinigung hege? Warum konnten die Götter mich nicht schonen und mir ein Leid schicken, welches Natur und Sitte gut heißen? Nie treibt Liebe die Kuh zur Kuh, zur Stute die Stute. Stets drängt es das Schaf zum Hammel sowie den Hirsche zum Reh. Selbst Vögel begatten sich so, und unter den sämtlichen Tieren ist kein Weibchen von Brunft nach anderem Weibchen ergriffen.
Ach wär‘ ich nicht auf der Welt!
Fänden sich hier nun aller Erfindungsgeist der Welt zusammen und käme auch Dädalus mit seinen wächsernen Schwingen zurück, doch was könnte er tun? Könnte er mich vom Mädchen zum Knaben wandeln durch seine schaffende Kunst? Könnte er dich verwandeln, Ianthe?
So fasse also Mut Iphis und sammle dich und lösche das törichte und wiedersinnige Feuer. Sieh‘, wie die Natur dich schuf, täusche dich nicht selbst und liebe wen du als Mädchen lieben solltest. Hoffnung allein ruft Liebe hervor und Liebe erhält mir die Hoffnung. Dich hält weder die wachende Aufsicht, noch die Härte des Vaters von der süßen Umarmung deiner Geliebten ab, wenn selbst die Begehrte sich nicht weigert. Dennoch bleibt dir versagt der Besitz und egal was geschieht, dein wird nimmer das Glück, auch wenn sich die Götter und Menschen mühten. Was ich will, wollen auch mein Vater, will sie und mein künftiger Schwiegervater. Doch die Natur, die mächtiger ist wie sie alle, will’s nicht. Sie nur steht mir im Weg.
Es nähert sich die erwartete Stunde. Da ist der Hochzeittag, mein wird nun werden Ianthe, doch eins werden wir nicht. Wir dürsten in Mitte der Wellen. Ach! Warum naht ihr dem Fest, Hymenäus und ehestiftende Juno, wo doch kein Bräutigam ist und wo zwei Bräute sich freien?“ Damit schwieg ihr Mund. Doch die Glut wallt in der anderen Jungfrau ebenso heiß, und sie wünscht sich die baldige Hochzeit. Telethusa fürchtete was diese ersehnt und schaffte durch Scheinkrankheit Verzug. Vorzeichen und Träume brachte sie oft auch vor, doch nun hatte sich ihr Vorrat an schlauen Erfindungen erschöpft und die verschobene Zeit der Vermählung rückte heran. So blieb nur noch ein Tag.
Im Tempel der Isis, vor deren Haupte knieten nun Telethusa und Iphis mit gelöstem Haar. Und die Mutter umfasste den Altar und sprach: „Isis, die du Parätonium, die mareotische Fluren und Pharos beschützt und den in sieben Arme geteilten Nil, hilf, so fleh‘ ich zu dir. Lass von der Furcht uns genesen! Damals sah ich dich schon, o Göttin. Alles, der Klappern getön und die Fackeln des folgenden Zuges nahm ich wahr und behielt dein Geheiß im gedenkenden Herzen. Dass Iphis das Licht erschaute und mich nicht die Strafe getroffen, waren dein Rat und deine Gabe. Erbarme dich unser, stehe uns mit Hilfe bei!“ Und den Worten folgten Tränen.
Da schien die Göttin den Altar zu bewegen – und wirklich war’s auch so. Das Tor am Tempel erbebte, die Mondähnlichen Hörner der Göttin leuchteten und es rasselte die tönende Klapper. Noch nicht sorglos, doch froh über das glückliche Zeichen verließ die Mutter den Tempel. Ihr folgte Iphis, aber mit größerem Schritten als sonst. Ihre Blässe wich, die Kräfte vermehrten sich, die Miene erhielt schärfere Züge und das Haar wurde kürzer und wirr. Mut wie sie ihn vorher nicht hatte kam in ihr auf. Denn jetzt war die, welche jüngst noch ein Weib war zum Jüngling geworden. Sie kamen mit Gaben zum Tempel und ließen eine Inschrift setzen. Die fasste den kurzen Gedenkspruch: „Was er als Mädchen gelobt, hier widmet es Iphis als Jüngling.“
Der nächste Tag hatte mit seinen Strahlen bereits die weite Welt erleuchtet, als zum Vermählungsfest Hymenäus, Venus und Juno erschienen und Iphis als Mann sich mit Ianthe vereinigte.