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Mulan

(Frei aus dem englischen „The Flowering Plum and the Palace Lady: Interpretations of Chinese Poetry“ von Han H. Frankel)

Den Blick stets zum Tor gerichtet saß Mulan an ihrem Webstuhl. Doch das Geräusch was man hörte war nicht das Weberschiffchen, sondern ihre tiefen Seufzer. Eine Stimme fragte sie: „Tochter, wer ist in deinen Gedanken, wer ist in deinem Herzen?“ Und Mulan antwortete: „Niemand ist in meinem Gedanken, niemand ist meinem Herzen. Letzte Nacht sah ich die Aushänge des Kahns, der Männer für seine Truppen ruft. Die Liste der Erwählten ist 12 Rollen lang und auf jeder steht Vaters Name. Doch er ist zu alt um zu gehen und hat auch keinen erwachsenen Sohn und ich keinen großen Bruder. Deshalb werde ich einen Sattel und ein Pferd kaufen und an Vaters Stelle in der Armee dienen.“

So kaufte sie auf dem Ostmarkt ein schneidiges Pferd, auf dem Westmarkt einen Sattel, auf dem Südmarkt Zaumzeug und auf dem Nordmarkt eine lange Peitsche.
In der Morgendämmerung verabschiedete sie sich von ihren schlafenden Eltern und ritt davon. Sie ritt den ganzen Tag rastete erst am Abend am Ufer des gelben Flusses. Dort hörte sie nicht die Rufe der Mutter und des Vaters, die ihre Tochter suchten. Sie vernahm nur das wilde Rauschen des Flusses.
Am nächsten Morgen verließ sie den gelben Fluss und erreichte am Abend die schwarzen Berge. Doch auch diesmal hörte sie nicht die Rufe des Vaters oder der Mutter, sondern nur die Nomaden Pferde des Berges Yen.

Zehntausend Meilen zog sie mit den Truppen und wie im Fluge zogen Berge und Pässe an ihr vorbei. Mit dem Nordwind konnte man das Klappern der Töpfe noch weit hören und im kühlen Licht der Nacht spiegelten sich die Eisenwaffen. Sie kämpfte in vielen Schlachten und in hunderten Kämpfen starben viele Generäle und Soldaten. Erst nach zehn Jahren kehrten die zähen Soldaten und mit ihnen Mulan zurück.

Bei ihrer Rückkehr wurde sie und ihre Kameraden zum Kahn gerufen. Der Sohn des Himmels saß in einer prächtigen Halle und vergab Beförderungen in 12 Rängen und Belohnungen von 100000 Yen und mehr. Nun da Mulan an der Reihe war, fragte der Kahn was sie sich wünschte und sie antwortete: „Ich habe keine Verwendung für einen Ministerposten. Ich wünsche mir nur auf einem schnellen Pferd zurück nach Hause zu reiten.“

Als der Vater und die Mutter hörten, dass ihre Tochter kommt, verließen sie das Haus, sich gegenseitig stützend. Mulans Schwester hörte, dass ihre jüngere Schwester naht und so machte sie sich zurecht, ohne das Tor aus den Augen zu lassen. Und der kleine Bruder wetzte das Messer um Schwein und Schaf zur Feier des Tages zu schlachten.

Mulan öffnete die Tür zu ihrer Kammer, streifte die Soldatenbekleidung ab und zog wieder ihre alten Kleider an. Mit dem Blick aus dem Fenster kämmte sie sich ihr Haar und betupfte sich vor dem Spiegel mit gelbem Blütenpuder.

Als sie wieder hinaus zu ihren Kameraden ging waren diese erstaunt und verwirrt. Denn obwohl sie 12 Jahre lang zusammen gereist waren, hatte niemand von ihnen bemerkt das Mulan eigentlich ein Mädchen war. Und sie sagte zu sich: „Die männlichen Hasenfüße gehen hüpfend und springend, die weiblichen Hasenaugen sind verwirrend und berauschend. Doch wenn die zwei Hasen eng Seite an Seite rennen, den Blick zum Boden gesenkt, wie können sie dann sagen ob ich „Er“ oder „Sie“ bin?“