(frei nach den „Methamorphosen“ von Publius Ovidius Naso (1 n. Chr.), Buch 4, Vers 271-389, in der deutschen Übersetzung von R. Suchier)
Den Göttern Hermes und Aphrodite wurde einst ein Sohn geboren, der in den Grotten der Ida von Nymphen aufgezogen wurde. Und da er seinen Eltern so ähnlich sah, bekam er ihre Namen: Hermaphroditus. Als der Knabe das 15. Lebensjahr erreichte, zog ihn die Neugier hinaus in die Welt, fort von seiner Amme Ida und weg von den Bergen.
Auf seinem Weg kam er an einem Weiher vorbei, in dem das Wasser so klar war, das man den Grund sehen konnte. Und das Ufer war statt von Schilf oder Binsen durch saftiges Gras umsäumt. Den Quell bewohnte die Nymphe Salmakis, die anders als ihre Schwestern, statt Wettkämpfe auszutragen, lieber am Wasser saß und ihre Beine benetzte, sich das Haar kämmte und die Wellen befragte was ihr am Besten stehen würde. Immer wieder sprachen die Schwestern zu ihr: „Salmakis, lass ab von der behaglichen Muße und komm mit uns.“ Doch sie bettete sich lieber auf saftigem Gras zur Ruhe oder pflückte Blumen, als mit ihren Schwestern zur Jagt zu gehen und sich mit dem Bogen zu stärken.
Und so kam es, dass die Nymphe, als sie gerade beim Blumen pflücken war, den Jüngling erblickte und sich sofort in ihn verliebte. Doch auch wenn ihr Verlangen groß war, ging sie nicht eher zu ihm, bevor sie sich zurecht gemacht und ihr Spiegelbild gemusterte hatte. Zufrieden näherte sie sich dem Knaben, lächelte ihn an und sprach mit liebreizender Stimme: „Fremder Jüngling, deine Schönheit gleicht der eines Gottes. Bist du ein Gott, dann bist du wohl Amor. Doch bist du ein Sterblicher so sind deine Eltern gesegnet. Dein Bruder kann sich glücklich schätzen und falls du eine Schwester hast, ist sie zu beneiden, genau wie die Amme, die dich einst säugte! Doch am glücklichsten von allen, kann sich die Frau nennen, welche du als Braut gewählt hast. Hast du bereits eine, dann sei mein Umfangen vergessen, hast du jedoch keine möchte ich die Erwählte sein und mit dir das Brautbett teilen.“
Erwartungsvoll sah ihn die Nymphe an. Aber der Jüngling, dem die Liebe fremd war, errötete nur. Doch auch das Erröten stand ihm und die Nymphe verlor noch mehr ihr Herz an ihn. Sie bat ihn wenigstens um einen Schwesterkuss und als er nicht darauf reagierte, versuchte sie ihn an sich heran zu ziehen. Erschrocken rief der Knabe „Lass mich in Ruhe! Sonst gehe ich und werde diesem Ort und dich in Zukunft meiden.“ Erschrocken über die Worte des Jünglings und aus Sorge sie würde ihn nie wieder sehen, lies sie von ihm ab. „Ich werde dich in Ruhe lassen. Ungestört mögest du hier verweilen!“ sprach die Nymphe drehte sich um und schritt davon – jedoch nicht ohne sich hin und wieder nach ihm umzublicken. Sie versteckte sich in einem dichten Gebüsch und beobachtete den Schönen voller entzücken.
Der Jüngling, der sich nun unbeobachtet glaubte, konnte dem kühlen Nass nicht länger widerstehen. Er tauchte zuerst die Füße ins Wasser, streifte schließlich seine Sachen ab und schritt langsam hinein. Die Begierde der Nymphe, die das ganze Schauspiel aus sicherer Entfernung beobachtete, wuchs als sie den nackten Knaben sah und ihre Augen funkelten wie Sonnenlicht das von einem Spiegel zurück geworfen wurde. Sie konnte sich nicht mehr länger zurückhalten und wünschte ihn einfach zu umarmen.
Nichts ahnend klopfte sich der Knabe mit der hohlen Hand auf den nackten Körper, sprang in die Fluten und schwamm durch die weichen Wellen.
„Sieg! Er ist mein!“ rieft die Nymphe, riss sich die Kleider vom Leib und sprangt dem Jüngling hinter her. Sie umklammerte ihn sofort mit festen Griff und raubte die verschmähten Küsse. Der Knabe versuchte sich aufzubäumen und sie abzuschütteln, doch sie schmiegte sich an ihn und hielt ihn fest wie eine Schlange, die einen Vogel umwickelte und am davon fliegen hinderte oder ein Polyp, der seine Beute in seinen Fängen hält.
Doch der Göttersohn blieb standhaft und verweigerte der Nymphe weiterhin die Freuden, die sie so ersehnte. Und so presste sie sich mit aller Kraft an den Knaben und sprach zu ihm: „Egal wie sehr du dich auch wehrst, du entkommst mir nicht.“ Und zum Himmel gerichtet rief sie: „Ihr Götter, erfüllt mir den Wunsch, das ich nie wieder getrennt werde von diesem Jüngling und dieser nicht von mir.“ Und die Götter erfüllten ihr den Wunsch, ließen die beiden Körper zu einer Gestalt verschmelzen, die weder Mann noch Frau war.
Und als Hermaphroditus wieder aus den Fluten stieg sah er, dass das Wasser in das er als Mann gegangen war, ihm zum Halbmann gemacht hatte. Die Hände zum Himmel gerichtet rief er bittend mit unmännlicher Stimme: „Vater, Mutter, erfüllt eurem Sohn, der euer beider Namen trägt, einen Wunsch: Jedem Mann der in diesem Weiher badet soll das gleiche wie mir wiederfahren und sobald er in das Wasser taucht zum Zwitter werden.“ Und so erfüllten die Eltern dem doppelgeschlechtlichen Sohn seinen Wunsch und gaben dem Gewässer den Zauber des verwirrenden Geschlechts.