(frei nach einem Märchen aus der Türkei)
Es war einmal ein Fischer, der hatte einen einzigen Sohn. Dieser Sohn war schön von Gestalt und er hatte eine glockenklare Stimme. Der Vater schickte ihn zur Schule, er sollte ein gebildeter Mann werden. Doch der Junge lernte nicht, so sehr sich die Lehrer auch bemühten. „Dann musst du eben ein Fischer werden wie ich einer bin!“ Der Vater ließ ihm ein neues Hemd schneidern, ein Hemd mit Litzen und Schleifen verziert, und er ließ ihm eine schöne große Fischplatte anfertigen. In diesem Hemd und mit dieser Fischplatte ging der Junge nun Tag für Tag durch die Gassen der Stadt und verkaufte die Fische, die sein Vater gefangen hatte. „Fische! Frische Fische! Kommt und kauft frische Fische!“ Die Leute hörten es und kamen neugierig aus ihren Häusern. „Wer hat denn so eine wunderbare Stimme?“ Wenn sie dann den schönen Jüngling mit seiner großen Fischplatte sahen, kauften sie ihm seine Fische ab. So konnten sein Vater und er gut leben und sie mussten keine Not leiden.
Eines Tages kam der Junge mit seiner Fischplatte am Palast des Sultans vorbei. Die Tochter des Sultans hörte ihn. „Fische! Frische Fische! Kommt und kauft frische Fische!“ „Was mag das wohl für ein Jüngling sein, der solch eine glockenklare Stimme hat!“ Und sie verliebte sich auf der Stelle in seine Stimme. Eine Dienerin musste den Jungen in den Palast holen. Und als die Sultanstochter den Fischersohn sah, verliebte sie sich noch mehr in ihn, so wunderschön war er! Sie kaufte ihm alle seine Fische ab und gab ihm eine Hand voll Gold dafür. „Komm morgen wieder!“ Der Junge eilte heim zu seinem Vater und erzählte ihm alles. Er freute sich, doch der Vater aber schüttelte voll Sorge den Kopf. „Das wird nichts Gutes bringen, doch wir können nichts daran ändern.“
Am nächsten Tag ging der Junge wieder mit seiner Fischplatte in den Palast und die Sultanstochter kaufte ihm abermals alle Fische ab. So kam er auch am dritten Tag, und die Sultanstochter erwartete ihn schon. „Sag, willst du hier bei mir im Palast bleiben?“ Das wollte der Junge wohl und willigte sofort ein. Da ließ ihm die Sultanstochter Frauenkleider bringen. Das Haar musste er nach Frauenart tragen und sie sagte allen: „Ich habe eine neue Sklavin genommen.“ Die Sultanstochter lehrte den Jungen Lesen und Schreiben – er lernte gut und schnell und konnte es bald – und sie gab ihm Unterricht im Lautenspiel. Nicht lang, und er spiele so wunderbar auf der Laute, dass jeder, der ihn hörte, davon wie verzaubert war, auch die Sultanstochter.
„Ich liebe dich und ich will dich heiraten. Willst du auch?“ „Ja, ich will wohl. Ich weiß aber, eines Tages wirst du mir vorhalten, dass ich nur ein Fischer bin. Und wenn du das tust, so wird es mir die Sprache verschlagen und ich werde stumm sein bis zu deinem Tode.“ Die Sultana erschrak. „Nein, mein Liebster, das werde ich nicht tun, denn ich liebe dich.“ Der Fischersohn zog nun die Frauenkleider aus und gab sich als Mann zu erkennen. Er hielt um die Hand der Sultanstochter an und wurde schließlich ihr Gemahl. So lebten sie eine gute Zeit glücklich miteinander. Doch eines Abends stieß der junge Mann versehentlich an den Kopf seiner Frau und tat ihr weh. „Au! Mein Kopf ist keine Fischplatte!“ Da verschlug es dem Mann sofort die Sprache. Er war stumm, kein Wort kam mehr über seine Lippen. Die Sultana entschuldigte sich, sie bat um Verzeihung, sie flehte ihn an, doch ihr Mann blieb stumm. Am nächsten Morgen war er verschwunden. Nur ein Brief lag da: „Adieu, ich segle in die Welt hinaus.“ Die Sultana erbleichte und ließ den Kopf hängen. Doch dann fasste sie sich: „Ich werde mich auf den Weg machen und meinen Mann suchen!“ Sie eilte zu ihrem Vater. „Vater, gib mir ein Schiff und vierzig Dienerinnen! Mein Mann hat mich verlassen und ich will ihn suchen“
Der Sultan schenkte ihr sein größtes, sein stolzestes Schiff, ein Schiff mit goldenen Masten und Segeln aus Atlasseide. Die Sultanstochter zog Männerkleider an, die Dienerinnen wurden als Seeleute verkleidet, und noch am selben Tag segelten sie hinaus aufs Meer.
So fuhren sie über die Meere dahin, Jahr für Jahr, Hafen für Hafen. Überall ging die Sultana an Land und fragte: „Ist hier ein junger Mann vorbeigekommen, stumm wie ein Fisch, der wunderbar die Laute spielen kann?“ Die Antwort jedoch war überall gleich. „Nein, einen solchen Mann haben wir nicht gesehen.“ Doch einmal hörte sie; „Ja, hier war ein junger Mann. Er sprach kein Wort, aber sein Lautenspiel war wunderbar. Er ist weiter nach Ägypten gesegelt.“ Die Sultanstochter ließ sofort die Segel hissen und reiste ihm nach.
Bald kam sie in Ägypten an. Hier ging sie aber nicht von Bord, sondern wartete ab. Die Leute im Hafen wunderten sich und die Nachricht verbreitete sich in Windeseile in der Stadt. „Im Hafen liegt ein großes, stolzes Schiff mit goldenen Masten und Segeln aus Atlasseide. Niemand ist bislang an Land gekommen.“ Auch der Padischah in seinem Palast bekam es zu hören und er machte sich mit seinem Gefolge auf in den Hafen, um das fremde Schiff zu sehen. Da ließ ihn die Sultanstochter mit all seinen Dienern an Bord rufen und bewirtete ihn festlich. Der Padischah hielt sie für einen vornehmen Seereisenden und ihre Dienerinnen für Seeleute und er lud sie alle in seinen Palast ein. Dort ließ er ihnen köstliche Speisen auftischen und die besten Lautenspieler seines Hofes spielten dazu. Unter diesen erkannte die Sultanstochter sofort ihren Mann. „Ein schöner junger Mann ist das, Padischah! Er spielt die Laute besser als jeder andere.“ „Da habt Ihr Recht, junger Herr, aber leider ist er stumm. Er spricht kein einziges Wort.“ „Ich will ihn schon zum Reden bringen, gebt ihn mir für eine Nacht!“ Der Padischah wollte nicht, er sträubte sich und ließ sich bitten. „Gebt ihn mir für eine Nacht, und wenn es mir nicht gelingt, ihn zum Sprechen zu bringen, so sollt ihr meine vierzig Seeleute bekommen.“ Schließlich gab der Padischah nach. „Wie Ihr wollt, junger Herr!“ und er ließ die Sultana in das Schlafgemach des Lautenspielers führen. Der schlief. „Lieber Mann, Ich bin’s, deine Frau. Sieh mich an! Sprich mit mir!“ Die Sultanstochter weinte und flehte, sie bat und bettelte Aber es war vergebens.
Am anderen Morgen musste sie dem Padischah ihre vierzig Seeleute lassen. „Lasst mich noch eine Nacht bei dem Lautenspieler wachen. Wenn es mir wieder nicht gelingt, ihn zum Sprechen zu bringen, so sollt Ihr mein Schiff dafür bekommen.“ Der Padischah war einverstanden und die Sultanstochter verbrachte die zweite Nacht an der Seite ihres Mannes. Doch wieder schlug er kein Auge auf und kein Laut kam über seine Lippen. „Gewährt mir eine letzte Nacht, Padischah! Und weil ich nichts mehr habe, was ich Euch bieten kann, so soll Euch mein Kopf gehören, wenn ich es wieder nicht vermag. – Wenn es mir aber gelingt, ihn zum Sprechen zu bringen, so soll er mein sein, und auch mein Schiff und meine Seeleute gehören wieder mir.“ Der Padischah erschrak, denn ihm gefiel der junge Herr und er wollte sich auf einen solchen Handel nicht einlassen. Doch nach langem Hin und Her willigte er schließlich ein. Die Sultanstochter wachte die dritte Nacht am Lager ihres Mannes. Sie klagte und weinte, sie bat und bettelte, sie sprach und sang zu ihm, sie streichelte und schüttelte ihn. Er aber schlief und sprach kein einziges Wort. Der Morgen graute, die Nacht war um und sie hatte ihr Ziel nicht erreicht. Der Padischah wartete schon auf sie: „Nun?“. „Es ist mir nicht gelungen. Ich konnte ihn nicht zum Sprechen bringen. Nun gehört mein Kopf Euch und ich muss wohl sterben.“ Schweren Herzens gab der Padischah den Befehl, den Galgen im Hof herzurichten. – Es war ihm leid um den jungen Herrn, doch er hatte diesen Handel geschlossen. Die Sultanstochter wurde hinausgeführt und unter den Galgen gebracht. Eine große Menschenmenge hatte sich versammelt, alle wollten das Schauspiel sehen. Darunter war auch der Lautenspieler, ihr Mann. Und als der Sultanstochter die Schlinge um den Hals gelegt wurde, da hörten alle laut und vernehmlich eine glockenklare Stimme, die Stimme des Lautenspielers: „Halt! Hört auf! Was tut ihr da! Das ist keine Fischplatte, das ist der Kopf einer Sultana, meiner lieben Frau!“ Die Sultanstochter wurde losgebunden und war frei. Mit ihrem Mann und ihren vierzig Dienerinnen segelte sie bald heim auf ihrem stolzen Schiff mit goldenen Masten und Segeln aus Atlasseide.